Vidösternsimmet Viking 42km+

Nach einem angenehmen Flug von Wien nach Göteborg fuhren wir mit einem Mietauto zum Vidöstern, wo wir unser Quartier in einer kleinen roten Holzhütte im Wald, direkt am See, bezogen. Wir, das sind mein Vater, der sowohl als Begleitung als auch Trainer und mentale Stütze fungierte, und ich.

 

Die Wettkampfbesprechung hatte bereits am Montag vor Abflug via Teams-Meeting stattgefunden. Hier erfuhren wir die wichtigsten Infos, Regeln und die Zuteilung der Kajakgruppen. Es wurden jeweils 2 Schwimmer einem Kajak zugeteilt. Nur ich hatte das fragwürdige Glück im einzigen 3er Team starten zu dürfen. Fragwürdig deswegen, weil man nun 2 Schwimmer hatte, an die man seine Geschwindigkeit anpassen musste.

Im Vorfeld nahm ich gleich Kontakt zu meinen Teampartnern Fiona aus England und Keld aus Dänemark auf, um den Zeitplan für die Nacht und somit die erste Hälfte des Vidösternsimmet zu besprechen. Ein 1:45min/100m-Schnitt sollte es werden. Die angestrebte Gesamtzeit für die ersten 21 km war somit 6h20min – 6h30min.

 

Schweden empfing uns relativ unfreundlich mit Regen und Temperaturen um die 12 Grad. Deshalb verbrachte ich die beiden Tage vor dem Wettkampf hauptsächlich mit dem Aufladen meiner Speicher, sprich mit seeehr viel Essen. Nudeln, Kekse und diverse Leckereien der lokalen Bäckerei wurden in großen Mengen verschlungen.

Einzig für den Test meiner neuen Schwimmbrille legte ich eine kurze Trainingseinheit im eiskalten See ein.

 

Am Freitag dem 11.8., dem Tag des Starts, versuchte ich untertags noch möglichst viel vorzuschlafen, bevor ich am Abend meine Getränke für die stündlichen Verpflegungsstopps in der Nacht mischte. Diese bestanden aus einem halben Liter Tee oder Powerade, 30g Maltodextrin (Kohlehydratpulver) und einer Messerspitze Salz. Das perfekte kalorienreiche isotonische Getränk!

 

Um 21:30 fuhr mich mein Vater zum Startgelände. Dort holte ich meine Startunterlagen ab und traf zum ersten Mal meine Schwimmpartner persönlich. Keld, ein kleiner, drahtiger und in sich gekehrter 50-jähriger Däne und Fiona, ein Anfang 30-jähriger englischer Schrank von einer Frau.

 

Die Bedingungen für die Nacht sollten alles andere als ideal werden. Die Außentemperatur ließ mich bei 12 Grad frösteln, es war bewölkt und leichte Regenschauer hatten sich angekündigt. Der See war lt. Information des Organisators zwischen 14 und 17 Grad “warm“.

Beim Warten auf unseren Start sah ich, dass sich die langsameren Schwimmer teilweise 2 Neoprenanzüge übereinander anzogen und sich mit Neoprenhandschuhen und -socken gegen die Kälte wappneten.

 

Dann wurden auch schon das Licht und der GPS-Sender in unseren Bojen aktiviert und zusammen mit dem Kajak pilgerten wir Richtung tiefschwarzen See.

 

Auf meine Frage kurz vor dem Start, ob wir zusammenbleiben sollten und uns mit der Führungsarbeit abwechseln könnten, antwortete Fiona kurz und barsch: "No! Everyone on his own." Diese kurze, ruppige und wenig empathische Meldung sollte leider noch bezeichnend für unseren Nachtschwumm werden.

 

Der Start war unspektakulär. 3, 2, 1 und rein ins Wasser!

Kälte! Dem Kajak mit der beleuchteten Boje nachschwimmen!

Ich fühlte mich von der Geschwindigkeit her ziemlich am Limit. War es die Kälte, die meine Muskulatur etwas verkrampfen ließ? War ich einfach noch nicht warmgeschwommen? Egal, nicht denken, weiterschwimmen.

Fiona hatte sich gleich zu Beginn 50 – 100m rechts vom Kajak positioniert und ich konnte sie in der Finsternis nur als kleinen leuchtenden Punkt wahrnehmen. So viel also zu der im Vorfeld viel diskutierten Regel, dass sich die Schwimmer nie mehr als 10m voneinander entfernen dürfen, ohne eine Disqualifikation zu riskieren.

Keld hörte ich als leises Platschen irgendwo hinter mir.

Diese Geschwindigkeit kann ich unmöglich die ganze Nacht durchhalten!

 

Dann kam auch schon der erste Verpflegungsstopp. „Ihr seid 15 Minuten vor eurer Zeit! 15min pro Kilometer!“ kam es vom Kajakfahrer als er uns die Getränke übergab. Fuck! Das war viel zu schnell. Ein 1:30er Schnitt statt eines 1:45er-Schnitts.

“Can we please slow down a little and stick to our plan!“, kam es von mir. Keld war sofort einverstanden. Nur Fiona meinte, sie würde trotzdem ihr Tempo schwimmen und der Kajakfahrer sollte sie von Zeit zu Zeit einfach einbremsen.

 

Wider Erwarten konnte ich jedoch sehr lange dieses verrückte Tempo mitschwimmen und jede Position in der Gruppe einnehmen. Jedoch wurde die restliche Nacht zu einem Stop and Go Rennen. Keld und ich schwammen dem Kajak nach, das von Zeit zu Zeit beschleunigte um Fiona “einzufangen“. Unterbrochen wurde dieses anstrengende Spiel von den stündlichen Verpflegungsstopps.

Bei unserem fünften Stopp waren wir nur noch etwas über 4 Kilometer vom Nordufer entfernt. Nach dieser Information gab es für Fiona kein Halten mehr. Sie beschloss nun, komplett auf das Team zu pfeifen und gab kommentarlos Gas. Auf Nimmer-wiedersehen!

Keld und ich blieben noch bis 30 Minuten vor dem Ufer zusammen, dann ließ ich auch ihn ziehen, denn ich wusste, ich brauchte noch Reserven für den Tag und konnte mich nicht komplett verausgaben.

Der Kajakfahrer blieb bis zum Ende des 1. Teils bei mir. Dafür danke ich ihm bis jetzt!

 

Beim Ausstieg erwartete mich mein Vater mit trockener, warmer Kleidung. Also raus aus dem nassen kalten Neo, rein ins warme Gewand, Handschuhe und Haube inklusive. Danach setzte ich mich zum kurzen Aufwärmen ins Mietauto! Stand- & Sitzheizung an. Erst mal essen und trinken.

 

Zu diesem Zeitpunkt war ich mental schon ziemlich angeschlagen. Die Strapazen der Nacht, die unharmonische Gruppe und die Kälte hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich überlegte, es hier zur Halbzeit einfach sein zu lassen. DNF (Did not finsh!), das erste meiner Freiwasserkarriere.

Erst 15 Minuten vor dem Start der offiziellen 21km-Distanz und meiner zweiten Hälfte, beschloss ich, es zumindest bis zur nächsten Verpflegungsstation an Land, nochmals zu probieren.

 

Schnell, ganz schnell rein in den klammen kalten Neoprenanzug. Schmerzen ausblenden! Boje umschnallen und zum Startgelände, wo bereits die anderen 100 Schwimmer der 21km-Distanz und die verbliebenen 10 Schwimmer der Viking-Distanz warteten.

Der Wind hatte zugenommen und erste Wellen zeigten sich auf dem See. Gegenwind! Na super!

Ich ordnete mich ganz hinten ein und redete, während wir ins Wasser gingen, zur Ablenkung etwas mit Pia, der einzigen österreichischen Starterin über die 21km. Die ersten Schwimmzüge fühlten sich etwas schmerzhaft an, doch es ging.

Bis zur ersten Verpflegungsstation, einem Floß in der Nähe von Funtabo, hatte ich mich bis ins Mittelfeld vorgearbeitet. Dort blieb ich auch bis zum ersten Landgang in Tånnö. Mental war ich am absoluten Tiefpunkt des Schwimmens angekommen. Mir war kalt, ich hatte starke Schmerzen in Schultern und Armen und ich konnte das Tempo der Schwimmer um mich herum nicht mehr halten.

 

Gott sei Dank hatte meine Schwester Motivationsvideos meiner Freunde gesammelt und sie meinem Vater geschickt, der sie mir an Land zeigte. Das gab mir neue Energien, zumindest im Kopf! Ich konnte jetzt nicht aufgeben! Gegen die Schmerzen griff ich zu meinem absoluten Notfallplan: Adolorin, flüssiges Schmerzmittel.

Auch das zeigte seine Wirkung und ich konnte die Teilstrecke von 5,5km bis zum nächsten Landgang zwar langsam, aber konstant schwimmen. Dort sah ich, wie sehr auch die anderen Schwimmer zu kämpfen hatten. Eingewickelt in teilweise 4-5 Decken saßen sie dort an Land, schütteten sich warmes Wasser in den Neopren, um wenigstens etwas warm zu werden und einige der Badehosenschwimmer wechselten nun doch zum Neo.

 

Das letzte Drittel, das nun bevorstand, schwamm ich nur mehr mit dem Kopf. Der Körper war schon lange kaputt und energielos. Zug um Zug kämpfte ich mich durch die Gegenströmung, ignorierte die Schmerzen und versuchte so viel Nahrung wie möglich bei den verbliebenen Verpflegungsstationen in mich hineinzustopfen. Auf den letzten 5km musste außerdem nochmals ein Adolorin her (Das soll jetzt bitte keine Werbung für Schmerzmittel sein!).

 

Bei Boje 20 von 22 wusste ich, dass ich es so gut wie geschafft hatte. Trotzdem zogen sich die verbliebenen 2,2km noch extrem. Nach 9h02min für die zweite Teilstrecke erreichte ich das Ziel in Sundet! Ich hatte es geschafft und das war in diesem Augenblick alles, was zählte!

Die Gesamtzeit von 15h27min bescherte mir außerdem den 5. Platz.

Wie hart die Verhältnisse an diesem Tag waren, wurde mir erst im Nachhinein bewusst.

Folgende Statistiken sollen dies aber nochmals verdeutlichen:
  - 7 von 17 Startern der Viking-Distanz erreichten das Ziel nicht.

  - 1/3 der Starter über die 21km-Distanz gab auf.

  - Ohne Neopren kamen über die 21km-Distanz nur 3 Männer und 3 Frauen ins Ziel.

 

Nun wurde ich seitdem oft gefragt, wie man sich fühlt, wenn man so eine gewaltige Strecke gemeistert hat. Meine ehrliche Antwort: Ich war erleichtert und kaputt! Die große, überwältigende Freude oder gar ein Endorphinrausch, blieb aus!

Sicher bin ich ein bisschen stolz auf mich. Ich bin überrascht, wie stark ich mental sein kann. Aber im Endeffekt fühlt sich das Ganze bis heute eher an wie ein Fiebertraum, den ich hatte.

Ich bin gespannt, wie und ob sich diese Wahrnehmung mit der Zeit noch verändert.

 

Zum Schluss möchte ich noch ein großes Dankeschön denjenigen Menschen aussprechen, die zum Gelingen dieses Unternehmens maßgeblich beigetragen haben. Ein herzliches Danke gilt meiner Familie, meinen Freunden, meiner Ärztin Frau Dr. Perner, meiner Physiotherapeutin Regina und meinem Masseur Alex!

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Hildegard Wührer (Mittwoch, 23 August 2023 10:30)

    Hallo Clemens!
    Ich bin eine ehemalige Kollegin deiner Eltern, bzw. darf ich mich sicher als Freundin bezeichnen.
    Ich hab deinen Bericht gelesen und bin sehr beeindruckt! Deine Mama hatte mir dein Vorhaben schon vorher erzählt. Für mich als Laie war das unvorstellbar, eine solche Strecke zu schwimmen! Aber durch deinen sehr packenden Bericht kann man es sich annähernd vorstellen, wie sehr du gekämpft hast! Ich gratuliere dir nochmals ganz herzlich zu deinem grandiosen Erfolg!
    Ganz liebe Grüße Hildegard Wührer

  • #2

    Toni (Mittwoch, 23 August 2023 20:09)

    Hallo Clemens- großer Mann des Schwimmsports.
    Hammer Leistung, cooler Bericht, kannst stolz auf dich sein. Gratuliere. Wünsch dir eine gute Regeneration.